2001

Nordkapp - die Erste

von Michael Wiedemann

Seit Monaten planen Diddy und ich die Tour nach Skandinavien. Ich habe mich mental und technisch gut vorbereitet. Reiseführer wurden gewälzt und die Kawasaki Z 1000 A1 (Bj. 77) ist, so weit es geht, auf dem besten Stand. Diddy hatte sein HMO-BMW-Gespann (Bj. 79) auch noch in der Werkstatt. Es wurde mit neuen Stoßdämpfern versehen. Fähre planen war nicht möglich, da Diddy nicht wußte, wie lange er am Vorabend der Reise arbeiten mußte. Deshalb fuhren wir erst mal Richtung Dänemark. Alles andere wird sich zeigen.

1. Tag: Samstag, 30. Juni
Morgens um 7 Uhr geht die Fahrt in Spenge los. Die Sonne scheint. Wir visieren Frederikshavn im Norden von Dänemark an. Dort wollen wir uns eine Fähre nach Norwegen suchen.
Eine elend lange Autobahnfahrt mit zahlreichen Staus steht uns bevor. 12 Kilometer stop and go vorm Elbtunnel. Es ist heiß. Wir kochen in den Klamotten. Das sollte sich aber heute noch ändern.
Endlich haben wir Deutschland hinter uns gebracht. Das Fahren auf dänischen Autobahnen ist wesentlich streßfreier. Dafür wird es jetzt von oben her feuchter. Im strömenden Regen durchqueren wir Dänemark. Auf den letzten 50 Kilometern vor dem heutigen Etappenziel, kriegen wir noch mal so richtig die Jacke nass. "Für das kleine Stück bis zur Fähre zieh' ich jetzt den Regenkombi auch nicht mehr an", hatte ich leichtsinnigerweise nach einem Tankstopp gesagt.
In Frederikshavn checkten wir auf der 22-Uhr-Fähre nach Norwegen ein. "Da meinte doch einer, ob wir nicht rüberschwimmen wollten, wir wären doch sowieso schon klitschnass", grinste Dieter, als er die Fährkarten in der Hand hielt.

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Noch an Land aber schon klitschnass ...

Vorher fahren wir noch, durchnässt wie wir sind, in die Stadt zum Pizzaessen.
Auf der Fähre machen wir es uns in einem Schlafsessel bequem. Diddy, der die ganze letzte Nacht nicht geschlafen hat, ist jetzt nicht mehr wach zu kriegen. Er hatte bis 3 Uhr gearbeitet und wollte dann noch die Hinterrad-Steckachse vom Gespann fetten.
Tagesetappe: ca. 800 km - Tachostand 30.800

2. Tag: Sonntag, 1. Juli

Um 7.30 Uhr rollen wir von der Fähre. Erst mal tanken. Auf der ersten Tankstelle in Norwegen reißt mir der Gaszug an der Kawa. Schrauben ist angesagt.

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Gut, wenn man ein paar Ersatzteile an Bord hat!

Dann geht es von Larvik aus "quer durch" Richtung Lillehammer. Regenschauer und Sonnenschein wechseln sich alle 15 Minuten ab.
Noch gleicht die Landschaft mehr dem Sauerland. Etwas besser wird es auf der E6 Richtung Trondheim. Die Europastraße wird in den nächsten Tagen und für rund 2.500 Kilometer unser Begleiter sein. Sie zieht sich über weite Gebirgszüge, die teilweise noch etwas Schnee tragen.

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Regen - Sonne - Schnee - alles da!

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Zuerst Ketten-Pflege - dann Augen-Pflege.

Abends mieten wir unsere erste Hütte in Oppdal, ca. 100 Kilometer vor Trondheim.
Tagesetappe: 583 km - Tachostand 31.383

3. Tag: Montag, 2. Juli

Seit früh um 8 Uhr sitzen wir wieder auf den Bikes. Das Thermometer zeigt nur 11 Grad C, trotz Sonne und blauem Himmel. Die Landschaft ist wieder langweiliger an der E6 entlang.
Wir besuchen Steinriksholm, eine kleine Burg auf einer Insel.

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Steinriksholm

Dann geht es sofort weiter.
Kurz vor Nord-Norwegen wird es dann schöner. Viele Serpentinen führen um die Fjorde.

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Das Tor zu Nord-Norwegen

Nach einigen Schauern bleibt nachmittags die Straße trocken und wir fahren stundenlang durch dichte Wälder.
Mautgebühren fallen für Motorradfahrer nicht an. Bis hierher waren Elche nur im Zoo zu sehen. Wir übernachten bei Mo I Rana, kurz vorm Polarkreis.
Tagesetappe: 647 km - Tachostand 32.030
Mit dieser Tagesetappe haben wir die 2.000-km-Marke geknackt - am 3. Tag

4. Tag: Dienstag, 3. Juli

Wir starten kurz nach 8 Uhr. Es regnet. Wetter egal, uns zieht es nordwärts. Gegen 9 Uhr erreichen wir den Polarkreis.

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Am Polarkreis

Ist schon ein irres Gefühl, so hoch im Norden zu sein, dass die Sonne im Sommer nicht mehr untergeht. "Klasse, da können wir ja noch ein, zwei Stunden länger fahren", flachst Dieter.

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Am Polarkreis, abseits der Straße

Ein Hochplateau in seiner schönsten Form, obwohl die Wolken sehr tief hängen. Hier wird Motorradfahren zu einem Erlebnis. Ein ganz besonderes Glücksgefühl durchströmt mich hier oben. Hier ist Norwegen wild und traumhaft. Das kann man weder mit Worten noch mit Fotos wiedergeben. Das muß man selbst erlebt haben.
Die weitere Fahrt verläuft im Regen, den ganzen Tag. Kurz vor Narvik reißen gegen 16 Uhr die Wolken endlich einmal auf. Gut, dass die Hütten auf den Campingplätzen eine Heizung haben. So können wir abends wenigstens unsere Sachen trocknen.

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Der Weg ist das Ziel

Trotz allem fressen die Bikes seit Tagen Kilometer um Kilometer den Asphalt der E6. Immer der gleiche Törn. Tanken, essen, schlafen, E6 und immer wieder die E6. Eine Straßenkarte brauchen wir nicht. Die E6 zeigt uns den Weg.

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Sehenswert: die Landschaft

Wir nutzen das traumhafte Wetter und fahren bis 21 Uhr. Es wird ja nicht dunkel. Die Mitternachtssonne macht's möglich. Eine Übernachtungsmöglichkeit finden wir Höhe Tromsö.
Tagesetappe: 580 km - Tachostand 32.610

5. Tag: Mittwoch, 4. Juli

Den heutigen Tag beginnen wir ca. 530 Kilometer vor unserem eigentlichen Zielort: Hammerfest. Der Nieselregen verzieht sich am Vormittag. Morgens macht Diddy noch Scherze über die zahllosen Schilder, die vor Elchen warnen. Jetzt läuft plötzlich ein Riesenexemplar vor uns in der Einsamkeit über die Straße.
Bei trockener Straße und manchmal sogar Sonnenschein erleben wir die norwegische Hochebene. Irrsinnig schön - irrsinnig einsam. Und doch leben hier Menschen, teilweise in einzeln stehenden Hütten, teilweise in kleinen Siedlungen. In größeren Entfernungen gibt es auch kleinere Ortschaften.
Die Bikes laufen super. Die Kawa summt leise vor sich hin - bei Tempo 100 und 4000 U/min. kein Wunder. Nur manchmal beim Überholen darf sie aggressiv fauchen. Vor uns fährt Diddy mit seinem HMO-Gespann. Der Typ ist nicht kaputt zu kriegen. Kilometer um Kilometer zieht er vor mir seine Bahn, bei Regen (ihm läuft dann das Wasser aus Stiefel und Handschuhe) und Sonne folge ich ihm jetzt schon durch Skandinavien und er fährt und fährt und fährt. So machen wir jeden Tag 10 Stunden und 600 Kilometer voll.
Abends sind wir am Ziel unserer Träume angelangt. Nach 3.100 Kilometer haben wir Hammerfest erreicht.

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Am Ziel unserer Träume

Wir haben es tatsächlich geschafft und das noch in Rekordzeit. Nicht schlecht, dafür dass wir vor 2 Tagen unser Ziel erst definiert haben.
Tagesetappe: 534 km - Tachostand 33.144

6. Tag: Donnerstag, 5. Juli

Morgens fahren wir nach Hammerfest rein. Ich muß in eine Apotheke, weil ich langsam Blasen am Hintern habe. Die junge Frau erkennt mein Problem und versorgt mich mit einer Salbe, die die nächsten 3.500 km hervorragend ihren Dienst tut wird.
Es ist mir unbegreiflich, wie es Diddy auf dem Gespann so lange aushalten kann. Seine Sitzbank gleicht einer kunstlederbezogenen Eisenplatte.
Als wir Hammerfest verlassen, nieselt es nur etwas. Ein Zustand der sich im Laufe des Vormittags ändern sollte. Wir fahren weiter die E6 Richtung russische Grenze, um dann die 93 Richtung Finnland zu nehmen.
Es regnet mittlerweile wie aus Eimern. Die Touris und ihre Reisebusse biegen am Olderfjord Richtung Nordkapp ab. Diese Touristenabzocke am Kapp ersparen wir uns. Außerdem ist es viel schöner die 300 Kilometer zur finnischen Grenzen im Regen zu fahren und den Touris in den klimatisierten Bussen zuzuwinken.
An der finnischen Grenze reißt die Wolkendecke auf und die Sonne strahlt vom Himmel. Endlich nehmen wir die Schönheit der Einsamkeit bei Sonnenschein war. Es weht ein eisiger Wind hier oben und das Wasser steht uns den ganzen Tag in den Stiefeln. Trotzdem können wir nicht aufhören zu fahren. Es ist wunderschön und irgend etwas zieht uns immer weiter.
Finnisch Lappland, das wir leider nur 150 Kilometer durchfahren, ist traumhaft wild und einsam. Dann sind wir auch schon in Schwedisch Lappland. Hier bügeln wir über die zum Teil schlimmen Buckelpisten, die in Nord-Skandinavien üblich sind, bevor wir in der Wildnis eine Hütte mieten.

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Eine Hütte ist die beste Alternative zu einem nassen Zelt

Mit Wildnis meine ich Landschaften, in denen nur alle 50-70 Kilometer eine Ortschaft liegt. Übernachtung an der Reichsstraße 45, die die nächsten Tage unser Zuhause sein wird, höhe Kiruna. Gegen Mitternacht streifen wir noch durch den Wald um Fotos von der Mitternachtssonne zu machen.
Tagesetappe: 671 km - Tachostand 33.815

7. Tag: Freitag, 6. Juli

Wir erwachen bei Sonnenschein und bekommen unser Frühstück zur Hütte gebracht. Wir frühstücken draußen. Eine tolles Gefühl nach dem vielen Regen. Nachdem wir vom Frühstückstisch aufgestanden sind, untersuchen Eichhörnchen die Reste auf dem Tisch.

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Für den Einen ist das Frühstück zu Ende, für den Anderen fängt es an ...

Erst um 10.30 Uhr fahren wir weiter Richtung Kiruna, um das Ice-Hotel zu besichtigen.
Wir kaufen Souvenirs ohne die Halle zu besichtigen, in der man im Sommer bei -5 Grad C in Iglos übernachten kann. Im Winter steht hier ein ganzes Hotel aus Eis.
Wir fliegen wieder auf der 45 südwärts. Nachmittags passieren wir bei Sonnenschein den Polarkreis, diesmal in Schweden bei Jokkmokk.

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Polarkreis in Schweden bei Jokkmokk

Einige Male stehen Rentiere auf der Fahrbahn und zwingen uns in die Bremsen. Heute haben wir eine Hütte direkt am See in Moskosel unterhalb des 56. Breitengrades. Es ist der erste Tag an dem wir keine nassen Klamotten trocknen müssen. Wir genießen die Abendsonne vor der Hütte. Auch hier erreichen uns noch ein paar Strahlen der Mitternachtssonne. Am heutigen Tag haben wir die 4.000-km-Marke geschafft.
Tagesetappe: 467 km - Tachostand 34.282

8. Tag: Samstag, 7. Juli

Unspektakulär geht die Reise weiter auf der 45. Jetzt fahren wir schon zwei Tage durch diesen Wald (ca. 1.000 km) ohne das ein Ende zu sehen ist. So riesig ist Lappland.

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Auch mal ohne Straßenbelag

Abwechslung bringt nur eine Herde Rentiere, die die Straße dickfällig für sich beansprucht.

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Rentiere - ihnen gehört hier die Straße

Ein Plakat am Wegesrand läßt uns einen kurzen Abstecher zu einem Motorradtreffen bei der Ortschaft "Dorotea" machen.

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Motorradtreffen

Mittags halten wir auf einem Rastplatz am Fluß. Eine Imbissbude bietet Lachs an. Der Betreiber hat ihn selber geangelt und geräuchert. Wir suchen uns einen aus und lassen es uns schmecken.
Kilometer um Kilometer, Stunde um Stunde bringen uns unsere Bikes durch die Wildnis, in der nur alle 50 Kilometer mal eine Ortschaft von Leben zeugt. Wir übernachten nahe Östersund.
Tagesetappe: 552 km - Tachostand 34.830

9. Tag: Sonntag, 8. Juli

Ein wolkenfreier Himmel begrüßt uns. Wir nehmen Kurs Süd, wie seit Tagen, auf der 45. Es wird immer wärmer (um 10 Uhr schon 23 Grad C) und zum ersten Mal ziehen wir alles überflüssige aus. Während wir in Mora bei Mc Donalds dinieren, kommt ein Z 1000 Fahrer und betrachtet mein Bike. So eine dreckige Z hat er wohl noch nie gesehen.
Die Supermärkte haben sonntags geöffnet. Wir füllen wieder Diddys Beiwagen, der uns auch als Proviantwagen dient. Na ja, o.k., das Essen hat immer etwas nach Benzin geschmeckt, weil der Reservekanister auch dort seinen Platz hat.
Bei dem Wetter kommen auch hier die ganzen Sonnenscheinbiker raus. Das war 1.000 Kilometer hinter dem Polarkreis ganz anders. Man war unter sich. Grüßen war Ehrensache.

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Herrlich anzusehen - doch wo Wasser ist, sind auch Mücken

Wir campieren unterhalb von Karlstad. Die Gegend ist echt nix dolles. Aber die Hütte liegt weit ab vom Schuß, allein im Wald am See. Traumhaft. Waschen müssen wir uns im See - Plumpsklo ist im Wald.
Tagesetappe: 573 km - Tachostand 35.403

10. Tag: Montag, 9. Juli

Mitten im Wald erwachen wir in unserer Hütte. Die Sonne scheint. Wir frühstücken draußen und können uns von diesem herrlichen Fleckchen Erde kaum losreißen. Doch wir müssen wieder auf die 45 und glauben an eine langweilige Fahrt.
Kurz hinter Göteborg, 6 km vor Varberg, passiert es dann. Diddy fährt vor mir und plötzlich höre ich einen Knall. Ich denke an eine Fehlzündung des Boxers, doch dann sehe ich das Schlingern des Gespannes. Der Schlauch im Hinterradreifen ist geplatzt, weil die dreiteilige Felge ein paar Schrauben abgeworfen hat.

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Auch ein Platten kann uns nicht bremsen

Mit ein paar neuen Schrauben können wir den Schaden am Straßenrand beheben. Nach drei Stunden geht die Fahrt weiter.
Heute gestaltet sich die Suche nach einer Hütte schwierig. In Falkenberg finden wir dann noch ein Zimmer mit Garage auf einem Bauernhof.
Tagesetappe: 416 km - Tachostand 35.819

11. Tag: Dienstag, 10. Juli

In Südschweden ist Sommer, von Regen keine Spur. Wir sind auf dem Weg zur Öresundbrücke, als mir meine Kawa einen Streich spielt. In Malmö, auf der Autobahn, verreckt eine Zündspule. Sie schmilzt förmlich zu einem schwarzen Klumpen zusammen.

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Zündspule verreckt ...

Die Werkstatt gibt sich keine große Mühe uns zu helfen. Wenigstens werden abends zur Fähre nach Trelleborg gebracht, wo wir die erste Möglichkeit nach Rostock nehmen.

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Wir verlassen Skandinavien auf dem gleichen Weg, auf dem wir gekommen sind - auf dem Wasserweg


12. Tag: Mittwoch, 11. Juli
Morgens um vier schleppt mich Diddy von der Fähre. Wir landen direkt auf der Schnellstraße - ich am Haken des Gespannes. Ich fühle mich scheiße, immer wenn der Schwerlastverkehr von hinten kommt. Um sieben stehen wir vor einer Boschwerkstatt. Auch hier kann man uns nicht helfen. Nachdem in Schweden keine Ersatzteile für die Z aufzutreiben waren, geht hier das Spiel von vorne los. Aber bei Klasmo weiß man Rat. Sie bringen aus Hamburg neue Teile - super Service!
Nachmittags fahren wir Richtung Heimat. Nach einem Federbruch am Vergaser von Diddy's Gespann geht mir bei Bad Nenndorf die zweite Zündspule kaputt. Während die Z hier übernachten muß, setze ich mich hinten aufs Gespann. Die letzten 120 km verbringe ich auf 10 cm Metall. Mein Hintern mußte ganz schön was aushalten diesen Urlaub.
Alles in allem war es ein Trip, den ich nie im Leben vergessen werde. Mit dem Bike bis Hammerfest. Ein Traum hat sich erfüllt und trotz den beiden letzten Tagen, wo wir etwas Probleme mit den Kisten hatten, haben sie uns doch in nur 12 Tagen bis "ans Ende der Welt" und wieder zurück (6.500 km) gebracht.

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